Der Fall Uli Hoeneß

Der Fall Uli Hoeneß

Mit zeitlichem Abstand zum Bayernspiel wollen wir Euch einen Auszug aus unserem Spieltagsflyer zum Thema Uli Hoeneß nicht vorenthalten:

Der Fall Uli Hoeneß: Eine Bestandsaufnahme aus fanpolitischer Sicht

Zum Selbstverständnis eines aktiven Fußballfans gehört vor allem auch eine gewisse Skepsis gegenüber offiziellen Verlautbarungen von Ermittlungsbehörden und gegenüber bestimmten Formen medialer Berichterstattung. Wie oft haben wir erlebt, dass zur Befriedigung der öffentlichen Gier nach Sensationen die ausgewogene Recherche auf der Strecke blieb und einem vereinfachenden und dramatisierenden Duktus zum Opfer fiel? Unhinterfragte Vorverurteilungen verkaufen sich einfach besser als eine differenzierte Aufarbeitung der Vorfälle. Diesen kritischen Geist dürfen wir auch dann nicht aufgeben, wenn in der öffentlichen Debatte mal nicht wir die Prügelknaben der Nation sind, sondern andere Personen – selbst wenn diesen (aus guten Gründen) nicht unsere Sympathie gehört. Schadenfreude sagt man zwar, sei die schönste Freude, doch in manchen Fällen hat sie auch eine negative Kehrseite, die häufig nicht bedacht wird. Wie etwa wollen wir unseren aktiven Kampf gegen (mediale) (Vor-)Urteile und für die Freiheits- und Persönlichkeitsrechte von Fußballfans schlüssig rechtfertigen, wenn wir in anderen Zusammenhängen die erstbeste Möglichkeit nutzen, auf den Zug der Populisten aufzuspringen und selbst den Mechanismen von Presse und Massenkultur erliegen? Am Beispiel der Steueraffäre um Uli Hoeneß lässt sich leicht aufzeigen, wie schmal der Grat zwischen den üblichen Nickligekeiten in einem Fußballstadion und dem plumpen Nachplappern von Boulevard-Thesen ist, auf dem wir uns mitunter bewegen – und warum es dennoch gerechtfertigt ist, Hoeneß sein Gebaren in dieser Sache als ironische Provokation um die Ohren zu schleudern.

Aufstieg und Fall einer moralischen Instanz: Uli Hoeneß als öffentliche Person

An den Kern der hitzigen und emotionalen Diskussionen rund um Hoeneß’ Steuergebaren gelangt man wohl nur, wenn man den schillernden Charakter des Bayern-Bosses berücksichtigt. Wohl kein anderer Fußballfunktionär ruft so zwiespältige Gefühle hervor. Sein hochroter Kopf und seine verbalen Entgleisungen, wenn mal nicht alles nach seiner Pfeife tanzt, haben ihn zur Symbolfigur der Arroganz der Rothosen von der Isar sowie der Ignoranz der machtgeilen Manager des modernen Fußballs gegenüber den Bedürfnissen des durchschnittlichen Fans werden lassen. Gleichzeitig genießt Hoeneß aber auch hohen Respekt: Sein Engagement für andere Fußballvereine in finanziellen Nöten, sein Eintreten für soziale Einrichtungen wie die Dominik-Brunner-Stiftung und natürliche seine unbestrittenen Leistungen bei der Etablierung des FC Bayern München als Nonplusultra des deutschen Fußballs gepaart mit seinem scheinbar authentischen Auftreten in der Öffentlichkeit heben ihn als integre Persönlichkeit aus der sonst oft trüben Welt des Sports hervor. Mit der Zeit wurde der kantige Bayern-Manager zu einem beliebten Gesprächspartner in Zeitungsredaktionen und TV-Talkshows, wo er stets meinungsfreudig politische und gesellschaftliche Entwicklungen kommentierte. Hoeneß wurde zu einer moralischen Instanz in der Bundesrepublik. Prominente aus allen Bereichen suchten seine Nähe. Aus dieser Zeit stammen auch einige beherzte Aussagen zur deutschen Steuerdebatte. Hier mal ein kleiner Auszug:

„Mir ist inzwischen egal, ob ich 20, 50 oder 100 Prozent Steuern zahle. Mir geht es um die kleinen Leute!“ (Interview mit der Münchner Abendzeitung im Jahr 2002)

„Es ist doch unklug, (…), denn irgendwann kommt (…) alles heraus. Und es kann doch nicht der Sinn der Sache sein, ins Gefängnis zu wandern, nur um ein paar Mark Steuern zu sparen.“ (Interview mit der ‚Welt’ aus dem Jahr 2002 zum Thema ‚Schwarzgeld’)

„Ich habe keinen Banker, der allein entscheidet. Die letzte Entscheidung habe immer ich selbst.“ (Interview mit dem Handelsblatt, Jahr 2011)

Angesichts solcher Aussagen und des Grundvertrauens in die Person Hoeneß waren wohl selbst die heftigsten Kritiker von Uli H. überrascht, als das Nachrichtenmagazin Focus am 20. April 2013 erstmals über die laufenden Ermittlungen gegen den Bayern-Präsidenten berichtete. Die Bundeskanzlerin fühlte sich gar genötigt, öffentlich ihre Enttäuschung über das Verhalten von Hoeneß mitzuteilen. Das Vorbild des großen Machers erblasste. In weiterer Folge wurden unter tatkräftiger Mithilfe eines bekannten Boulevard-Blattes mit vier großen Lettern diverse Hintergründe und Details zur Steueraffäre öffentlich. Manche entsprachen der Wahrheit, andere nicht. Insgesamt gerannen die Vorfälle mehr und mehr zu einer medialen Räuberpistole. Verteidiger und Gegner von Hoeneß platzierten ihre Argumente und schadeten so auf die jeweils eigene Weise dem Prestige des mächtigsten Mannes im deutschen Vereins-Fußball. Hoeneß versuchte sich zu wehren und verwies darauf, dass er sich im Januar 2013 für seine Steuervergehen selbst angezeigt habe. Er gehe davon aus, dass diese Selbstanzeige vollumfänglich wirksam sei und dass er deswegen auch nach Abschluss des Verfahrens straffrei bleibe. Überdies stehe ihm, nachdem er selbst die Initiative ergriffen habe, eigentlich Anonymität zu – so wie vielen anderen deutschen Steuersündern auch. Tatsache ist, dass Hoeneß sich seit April 2013 öffentlich mit herben persönlichen Vorwürfen, dreisten Unterstellungen und weit reichenden Vorverurteilungen konfrontiert sieht, deren juristische Haltbarkeit erst in einem Gerichtsverfahren, welches am 10. März 2014 vor dem Münchner Landgericht beginnt, nachgewiesen werden muss. Das meiste, was bisher berichtet wurde, ist Spekulation. Eine Situation, die wir als aktive Fußballfans kennen. Es scheint so, dass die deutschen Journalisten eben immer eine Sau brauchen, die sie durch das Dorf treiben können: Sei es nun ein Platzsturm in Düsseldorf oder steuerliche Unregelmäßigkeiten im Hause Hoeneß.

Schuld, Unschuld, Straffreiheit: Wie öffentliche Debatten Verbrecher machen
Ihre pikante Note erhält die Debatte um Uli Hoeneß aus der Differenz zwischen Rechtssprechung und allgemeinem Rechtsempfinden. Durch die Selbstanzeige hat der Delinquent ja bereits sein Fehlverhalten eingeräumt. Vor Gericht geht es nun letztlich um die Wirksamkeit der Selbstanzeige und damit um die Frage, inwieweit es möglich ist, einen eigenen (absichtlichen) Fehler innerhalb der rechtsstaatlichen Regeln nachträglich zu legalisieren. Die Frage der Unschuldsvermutung bezieht sich hier also weniger darauf, ob jemand tatsächlich unschuldig ist (also das, was ihm vorgeworfen wird, gar nicht begangen hat), sondern ob die begangene Tat nach den Spielregeln des Rechtsverfahrens überhaupt (noch) strafbar ist. Uli Hoeneß kämpft also weniger darum, zu beweisen, dass er unschuldig ist, als darum, sich durch die Straffreiheit im Rahmen eines Prozesses zu rehabilitieren. Hier liegt eines der Hauptprobleme im Verfahren: Dadurch dass die Anonymität seitens der Ermittlungsbehörden nicht gewahrt wurde, stehen Spekulationen über Hoeneß’ Taten im Raum und darüber hinaus ist bekannt, dass er zumindest ein generelles Fehlverhalten einräumt. Volkes Meinung ist dann – aufgrund der wenig reflektierten Berichterstattung – ganz klar: Uli Hoeneß ist ein Straftäter! Durch die breite Öffentlichkeit, die durch undichte Stellen in den Behörden hergestellt wurde, steht das Gericht nun unter besonderer Beobachtung. Für alle am Prozess beteiligten Parteien wird es nun eine wichtige Aufgabe sein, diesem Druck Stand zu halten und auch mit der erwartbaren Schelte angemessen umzugehen – denn das Urteil wird, egal, wie es ausfällt, auf jeden Fall Kritik hervorrufen! Hoeneß kämpft damit wirklich einen anderen und wohl auch einen härteren Kampf als abertausende Andere, die das gleiche Vergehen begangen haben, deren Fall aber anonym blieb. Bei aller Antipathie gegen die Person Hoeneß gilt es dabei immer zu bedenken: Keine Strafe ohne Urteil!

Bedingungsloser Einsatz für rechtsstaatliche Prinzipien? Ein kleiner Blick in die Realität des FC Bayern München

Und da wären wir nun an der Stelle angelangt, die den Fall Hoeneß aus fanpolitischer Sicht so interessant macht. Auch wenn sich manche Passagen bisher wie eine Solidaritätsadresse für den Bayern-Boss gelesen haben mögen, so dürfen wir nicht vergessen, dass er vor Gericht für Prinzipien kämpft, die er selbst nicht immer eingehalten hat. Hoeneß war einer der großen Protagonisten in der Umwandlung der Bundesliga zu einer Art Show-Business. Und dazu gehört auch eine keimfreie Atmosphäre, die kritischen und aktiven Fans das Leben schwer macht. Hoeneß hat sich dabei öffentlich und vor allem auch vereinsintern bei den Bayern nicht unbedingt einen Namen als Freund und Anwalt der Fans gemacht. Er selbst hat vorverurteilt und Anhänger seines eigenen Vereins den Medienhaien zum Fraß vorgeworfen. Selbst vor Pauschalurteilen und Sippenhaft ist er nicht zurückgeschreckt, was sich auch auf die Praxis der Vergabe von Stadionverboten beim FC Bayern negativ ausgewirkt hat. Selbst die Entwicklungen der letzten Monate, in denen Hoeneß selbst die Erfahrung machen musste, wie es ist, ohne rechtsgültiges Urteil bereits am öffentlichen Pranger zu stehen, haben in der Vereinsführung des FC Bayern nicht wirklich zu einem Umdenken geführt. So wurden etwa alle bestehenden Auswärtsdauerkarten für die Pokalwettbewerbe in der Sommerpause 2013 gekündigt, nachdem es bei den Finalspielen zuvor zum Einsatz pyrotechnischer Elemente gekommen war. Nach dem Gießkannenprinzip wurde hier eine Vielzahl von Personen völlig unschuldig für vorgebliche ‚Untaten’ anderer in Haftung genommen. Auch hier war das mediale Echo groß. Die üblichen Schlagworte von den Randalieren und Chaoten waren zu lesen. Dass der FC Bayern nur wenige Wochen später zurückruderte und die Auswärtsdauerkarten doch wieder ausgab, fand weniger Aufmerksamkeit. Außerdem heuerten die Bayern zur Analyse der Situation in der Südkurve den Terrorexperten Prof. Wolfgang Salewski an. Dieser entpuppte sich allerdings als für die Aufgabe denkbar ungeeignet: Es scheint, als bräuchte man für den Umgang mit dem kleinsten Heimstehplatzblock der Liga dann doch andere Strategien als für die Terrorbekämpfung im Nahen Osten. Eindeutig allerdings Salewskis Wortwahl: Natürlich treffen umfassende Maßnahmen gegen eine Fanszene auch Unschuldige, aber die haben dann eben ‚Pech gehabt’. Für den FC Bayern sei es ohnehin kein Problem, das Fanpotential zu ersetzen und, so Salewski, mit ‚neuen Leuten kommen auch neue Lieder’. Auf dem Rücken der völlig überzogenen Gewalt-Debatte rund um die deutschen Fankurven versucht der FC Bayern hier also die Südkurve umzustrukturieren und schreckt dabei nicht einmal davor zurück, in der medialen Berichterstattung die eigene Fanszene mit Terroristen gleichzusetzen. Der Grundsatz: Keine Strafe ohne Urteil gilt hier aus Sicht der Bayern eben gerade nicht! Damit gehört der FC Bayern zu den Vereinen, die das aktuelle Klima im deutschen Fußball maßgeblich mitbestimmen: Dieses ist geprägt von wechselseitigem Misstrauen zwischen Fans und Offiziellen, von (staatlicher) Überwachung und Sicherstellung des Premiumproduktes Profifußball. Es herrscht eine mediale Hysterie gegenüber allem, was sich in den Fanszenen abspielt und es kommt teilweise zu Situationen, die einem demokratischen Rechtsstaat nicht würdig sind.

Aus Fehlern lernen, neue Wege gehen: Gleiches Recht für alle – Keine Strafe ohne Urteil!

Genau hier gilt es anzusetzen: Es kann und darf uns Fans nicht darum gehen, Uli Hoeneß mit den gleichen Praktiken zu strafen, mit denen wir von weiten Teilen der Öffentlichkeit gestraft werden. Wir dürfen ihm allerdings schon aufs Brot schmieren, dass er einen Fehler gemacht hat und dass er die Maßstäbe, die er für die (öffentliche) Bewertung seines Rechtsfalles einfordert, auch in anderen Zusammenhängen anlegen sollte. Es mag zunächst ketzerisch klingen, aber es darf durchaus gefragt werden, ob das Verhalten des Herrn Hoeneß dem sozialen Frieden und dem Staat als Ganzem nicht weitaus mehr geschadet hat, als das Abbrennen einzelner Benaglischer Feuer in den Fankurven der deutschen Stadien es jemals zu schaffen vermag. Es gibt also keinen wirklichen Grund, warum sich ganze Gruppen von Stadiongängern öffentlich diffamieren lassen müssen, während eine Steuerstraftat mehr oder minder als Kavaliersdelikt angesehen wird. Gerne wird in diesem Zusammenhang auf Hoeneß’ bisherige Leistungen für seinen Verein und auch für die Gesellschaft verwiesen. Diese sind unbestritten und es ist sicher gerechtfertigt, diese bei einer differenzierten Betrachtungsweise nicht zu vernachlässigen. Aber muss das dann nicht auch für Fangruppen gelten, die sich hauptsächlich um Choreographien kümmern, jungen Leuten eine Anlaufstelle bieten, integrativ tätig sind und sich auch in das soziale Gefüge der eigenen Stadt einbringen? Hier werden derlei Argumente üblicher Weise einfach weggewischt und die ‚Ultras’ stehen dann als Synonym für Gewalt und Pyrotechnik.

Der Fall Hoeneß’ legt damit in vielerlei Hinsicht die Muster offen, nach denen die öffentliche Kommunikation und vor allem der Umgang zwischen diversen Interessengruppen im Profifußball funktioniert: Durch vereinfachende mediale Berichterstattung entsteht eine negative Dynamik, aus der es kaum ein Entrinnen gibt und die Menschen stigmatisiert, ohne dass ihre Straffälligkeit juristisch belegt wäre. Aus dieser Erkenntnis heraus lässt sich ein anderer, differenzierter Blick auf die Position aller Beteiligten gewinnen, aus dem heraus ein neues Verständnis füreinander und ein neues Miteinander mit der Protagonisten entwickelt werden können und müssen. Als Grundsatz muss dabei gelten: Gleiches Recht für alle – keine Strafe ohne Urteil!